Der apokalyptische Marcionismus des späteren Heidegger
von Cyril O'Regan, 14. April 2023
Christliche Denker beschäftigen sich weiterhin mit Heidegger, ebenso wie sie sich weiterhin mit Hegel befassen. Gerade als beide unserem Bewusstsein zu entgehen scheinen, tauchen sie wieder auf und beunruhigen unser intellektuelles Gewissen darüber, ob wir tief genug nachgedacht und vollständig verstanden haben, wie unheilvoll der Einfluss des Christentums – in ihrer scharfsinnigen Lesart – auf den Westen war, nicht nur in Bezug auf Respekt zur Wahrheit, sondern auch zu ihren Praktiken und Lebensformen, die sowohl für Gemeinschaften als auch für Einzelpersonen den Charakter von Ekstase und Authentizität tragen sollten. Um ein so komplexes und sibyllinisches Denken wie Heideggers Diagnose der Pathologie des Christentums und seines Gegenmittels in den Griff zu bekommen und den ruhigen Punkt der christlichen Erinnerung an Offenbarung und Tradition zu finden, von dem aus wir antworten könnten, erkennen wir natürlich, dass wir sind verpflichtet, zwischen frühen und späteren Texten zu unterscheiden, die sich auf Heideggers Verständnis des historischen Christentums und seine Darstellung von Alternativen beziehen. Solche Unterscheidungen im Werk Heideggers zu treffen, ist im Laufe der Zeit zu einer Art Heimarbeit geworden.
Es gab schwächere und stärkere Versionen dieser Unterscheidung. Die schwächere Version besagt, dass Heideggers sogenannte „Wende“ (Kehre) eine vorweggenommene Entwicklung ist, die lediglich den Verlust von Privilegien für Dasein gegenüber Sein beinhaltet, die bereits in der Einleitung zu Sein und Zeit (1927) angedeutet wurden. Die stärkere Version argumentiert für einen tatsächlichen Bruch in Heideggers Denken in der Entstehung einer neuen Form radikalen mythopoetischen Denkens, das offen für den Ereignischarakter der Enthüllung des Seins ist. Die Wahl der einen oder anderen dieser beiden Optionen hat zwar Auswirkungen darauf, wie wir Heideggers kritische Beziehung zum Christentum verstehen, ist aber meiner Ansicht nach nicht entscheidend. Beide Versionen stellen Schwierigkeiten für die Art von Argument dar, die ich hier verfolgen möchte, nämlich dass nicht nur, wie ich kürzlich gezeigt habe, das frühe Werk Heideggers eine apokalyptische und marcionitische Zuschreibung zulässt, sondern auch sein späteres „späteres“ Werk. auch wenn es Veränderungen im apokalyptischen und marcionitischen Register gibt. Dieser Aufsatz sollte daher als Ergänzung zum vorherigen angesehen werden.
Zu dieser alles andere als selbstverständlichen Behauptung kann ich im Folgenden nur sehr grobe Hinweise geben. Lassen Sie mich jedoch die Probleme skizzieren, die behandelt werden müssen, um sowohl eine apokalyptische als auch eine marcionitische Zuschreibung von Heideggers späterem Werk plausibel zu machen.
Zunächst ist es notwendig, einen Hinweis darauf zu geben, dass man trotz der Tatsache, dass man in Heideggers „späterem“ Werk nicht auf die Art expliziter Auseinandersetzung mit dem Christentum stößt, die man in seinen Paulus-Vorlesungen von 1921 findet und die in Sein und Zeit ihren Widerhall findet ( 1927). Dennoch setzt sich die Auseinandersetzung mit dem Christentum und daraus abgeleitet mit dem Judentum in seinem späteren Werk fort, auch wenn Heidegger eine mythopoetische Alternative zur Übernahme eines hyperbolisch transzendenten Göttlichen durch Judentum und Christentum konstruiert, das der Welt Bedeutung und Wahrheit entzieht.
Zweitens müssen wir ein Argument dafür skizzieren, dass das fromme doxologische Denken des „späteren“ Heidegger trotz seines kontemplativen Anstrichs besser als apokalyptisch statt als mystisch beschrieben werden kann und dass der Wandel vom früheren zum späteren Heidegger sinnvollerweise als a beschrieben werden kann Verschiebung des apokalyptischen Registers vom Existentiellen zum Chthonischen. Drittens und damit verbunden stellt sich die Frage, ob Heideggers chthonische Apokalyptik, die eine kritische Beziehung zum historischen Christentum aufweist, Vorgeschichten zulässt, sodass es sinnvoll wäre, den „späteren“ Heidegger in eine marcionitische Genealogie einzuschreiben. Auf jedes dieser Desiderate werde ich der Reihe nach eingehen.
Auch wenn es nicht zu leugnen ist, dass es im Werk des „späteren“ Heidegger eine mehr oder weniger ständige Auseinandersetzung mit dem Christentum als einem verhängnisvollen westlichen historischen Erbe gibt, sind die Formen seiner Kritik unterschiedlich implizit und explizit und auch unterschiedlich hochtrabend und tief fliegend. Heideggers Charakterisierungen des Christentums – insbesondere des katholischen Christentums – und des Judentums in seinen „Schwarzen Notizbüchern“ sind explizit und zurückhaltend. Ich werde mich weder mit den schmutzigen Details befassen noch gegen die Präsenz antisemitischer ideologischer Dämpfe schimpfen, die ein selbsternannter kritischer Denker beschämend eingeatmet hat. Dennoch ist es schwer, die Figur des entwurzelten Juden zu ignorieren – die im Wesentlichen ein mittelalterliches Stereotyp wiederholt –, obwohl selbst dieses Schibboleth einen bemerkenswerten Stammbaum der deutschen Hochkultur hat. Sie findet sich überall in Hegels Werk, auch wenn Hegel sie als eine ursprüngliche metaphysische Orientierung laminiert. Ebenso schwer ist es jedoch, die Stereotypisierung der Jesuiten als machthungrig, hinterhältig, unaufrichtig und illoyal gegenüber den bestimmten Gemeinschaften, denen sie dienen sollen, zu ignorieren, Eigenschaften, die scheinbar direkt von Voltaire übernommen wurden, für wen wir das vielleicht tun würden haben zuverlässig vermutet, dass Heidegger eine ungezügelte Verachtung besitzt.
Hier interessiert mich jedoch mehr der analytische Kern der Figuration des Judentums und einer bestimmten Art von Christentum und wie das, was Heidegger in den ungefilterten Notizen in den Schwarzen Notizbüchern sagt, Vorurteile bestätigt, die in die zu seinen Lebzeiten veröffentlichten Texte eindringen. Natürlich sind Judentum und Christentum wegen ihres Bekenntnisses zu vollkommenen Formen der Transzendenz Gegenstand der Kritik. Wie im deutschen Idealismus und in der Romantik kann Heidegger die Beziehung zwischen Transzendenz und Immanenz im Judentum und im historischen Christentum nur in konkurrierenden Begriffen begreifen. Darüber hinaus war er davon überzeugt, dass das historische Christentum, historisch von seiner Grundvision und Lebensorientierung her gesehen, lediglich Judentum auf andere Weise ist.
Im nächsten Schritt ist es Nietzsche, der diese Punkte hervorhebt. Das Originelle für Nietzsche ist jedoch weniger der Inhalt dieser Bekenntnisse und Verleugnungen als der Ton. Heideggers Kritik des Judentums und des Christentums ähnelt der des deutschen Idealismus und der Romantik darin, dass sie zweigleisig ist. Einerseits stellen Judentum und historisches Christentum das größte intellektuelle Missgeschick dar, eine göttliche Sphäre zu betrachten, die völlig von der Welt getrennt, ja mit ihr unverhältnismäßig ist. Auf der anderen Seite veranschaulichen das Judentum und das historische Christentum unvollkommene Formen der Weltlichkeit: Ersteres ist eine Weltlichkeit, die dem Schrecken der modernen Technologie und ihrer Konstruktion der Welt als einer Ansammlung von Ressourcen (die die Menschheit nicht ausschließt) zugrunde liegt, Letzteres im Wesentlichen das Spiel der Bildung und Reformation der säkularen Kultur auf religiöser Grundlage zu spielen, das sich bei näherer Betrachtung als Ausdruck einer Libido dominandi herausstellt. Diese Kritik der Weltlichkeit kann jedoch nicht von der Kritik sowohl des Judentums als auch des Christentums als Denk- und Praxisregimen getrennt werden, die einer Interpretation einer transzendenten Entität unterworfen sind, die die Welt notwendigerweise ihrer Bedeutung beraubt.
Die Verbindung zwischen Weltfremdheit und falscher Weltlichkeit findet sich auch bei Nietzsche, obwohl Heidegger Hegel möglicherweise näher steht als Nietzsche, wenn er denkt, dass der schreckliche Knoten zwischen Weltfremdheit und Weltlichkeit am besten im katholischen Christentum geknüpft wird. Dies bedeutet nicht, dass er sich mit Heidegger in seinen verzweifelten und oft äußerst unglaubwürdigen Versuchen verschworen hat, Licht zwischen ihm und dem selbstbewusstesten prophetischen aller prophetischen Denker im 19. Jahrhundert zu schaffen, ob es nun um Kunst, Mission, Außergewöhnlichkeit, die Geschichte der Philosophie oder oder die Unterscheidung zwischen unauthentischem und authentischem Nihilismus. Nietzsche übt in all diesen Bereichen, die Heidegger verschleiert, einen bedeutenden Einfluss aus, indem er sein späteres mythopoetisches Denken an Friedrich Hölderlin knüpft, dessen philosophische Bedeutung er in dem Maße erhöht, in dem er die Bedeutung Nietzsches herunterspielt.
Nicht jede Kritik am Judentum und historischen Christentum in Heideggers späteren Werken ist so explizit und so schmutzig wie die, die in den Notizbüchern geäußert wird. Heidegger benimmt sich rhetorisch meist etwas besser, wenn auch nicht unbedingt umsichtiger. Tatsächlich ist er in seiner Kritik oft geradezu ätherisch: Der Hauptfehler der Metaphysik wird routinemäßig als „Ontotheologie“ identifiziert, d. kausal. Dieser Fehler, der bereits in der klassischen Philosophie von Platon und Aristoteles verankert und in der missglückten Missallianz von Religion und Denken im Westen fortgeführt wurde, ist die vergiftete Wurzel der westlichen intellektuellen Tradition.
Diese Identifizierung des Seins mit dem Grund des Seienden wird oft als Fanfarenaufruf an Philosophie und Theologie angesehen, die Metaphysik aus dem Christentum zu entfernen. Daraus scheint zu folgen, dass die Entfernung eines metaphysischen/logischen Apparats aus dem Denken des Christentums dieses im Wesentlichen gegen Heideggersche Kritik immunisieren würde. Es gab eine ganze Reihe von Anhängern dieses Ratschlags zur christlichen Selbstreinigung. Und es scheint, dass Heidegger unter anderen Textstellen, die diese Ansicht stützen könnten, 1954 in Zürich eine Vorlesung vor protestantischen Pfarrern hielt, die sich offenbar eng an das anlehnt, was er viel früher in „Phänomenologie und Theologie“ (1927) schrieb: Die Theologie an die Heilige Schrift gebunden halten und so weiter Wird gut sein.
Obwohl es angesichts der philosophischen Autorität Heideggers angebracht sein mag, ihn beim Wort zu akzeptieren, dass er im Gegensatz zu seiner Abneigung gegen den Gott der Metaphysik – eine Abneigung, die er mit Leuten wie Pascal teilt – frei von Vorurteilen gegenüber dem biblischen Gott ist , gibt es gute Gründe zu vermuten, dass der biblische Gott nicht den Schutz genießt, den christliche Theologen anstreben, wenn sie die Binarität zwischen dem Gott der Philosophen und dem Gott des christlichen Glaubens akzeptieren. Tatsächlich gibt Heidegger dem Interpreten gute Gründe für die Annahme, dass der souveräne und gesetzgebende Gott der Bibel eine Gottheit ist, auf die man sich verlassen muss, da dieser Gott produktionsorientierte Tendenzen hat, die dem Gott der Metaphysik ähneln, der seinen Ausdruck in effizienter Kausalität findet und darüber hinaus blutet die Welt und den Menschen aus den ihnen eigenen Formen der Transzendenz und Ekstase.
In einer berühmten Passage in Identität und Differenz beklagt Heidegger, dass man nicht zur Causa Sui beten könne. Man ist versucht, diese Aussage mit ähnlichen Aussagen bei Luther oder Pascal zu vergleichen. Es besteht jedoch der Unterschied, dass Luther und Pascal zwar nicht nur das Gebet im Hinblick auf diesen Gott, in dessen Händen unser Heil liegt, für angemessen halten, sondern auch, dass dieser persönliche und souveräne Gott die eigentliche Bedingung für die Möglichkeit des Gebets schafft, und tut dies nicht durch seine Nachbarschaft, sondern durch seine Andersartigkeit. Das letzte Merkmal dieser komplexen Behauptung scheint Heidegger unbedingt zu vermeiden. Selbst in den Texten der 1930er und 1940er Jahre, in denen sich Heidegger offenbar nicht explizit mit dem Christentum auseinandersetzt, sind seine Grundfigurationen des Göttlichen, der Erlösung, der Eschatologie und der Apokalyptik von den vorangegangenen Schriften innerhalb des Christentums abhängig. Während dies einerseits darauf hindeutet, dass Heidegger nicht ohne das Christentum auskommen kann, scheint es andererseits darauf hinzudeuten, dass diese früheren Skripte überarbeitet und geändert werden müssen, wenn sie für authentisches Denken von Bedeutung sind und/oder dies erleichtern die Rezeption des Seins (Sein) oder des Seins in einem archaischen Modus (Seyn), d.
Abschließend ist eine Kritik des Christentums – sie gilt auch für das Judentum – zu erwähnen, die sehr implizit, aber kraftvoll ist und auf einem sehr hohen Abstraktionsgrad funktioniert. Ich spreche hier von Heideggers Artikulation des Heiligen, das in Heideggers mehr oder weniger phänomenologischer Sicht den Horizont der Göttlichkeit darstellt, die wiederum den Horizont aller Götter bietet, den biblischen Gott nicht ausschließend. Eine der Auswirkungen eines solchen hierarchischen Schemas besteht darin, dass es die Wahrheitsansprüche aller religiösen Gruppen relativiert und die Entstehung und Aufrechterhaltung ihres Glaubenssystems und der damit verbundenen Praktiken und Lebensformen historisiert.
All dies geschieht jedoch unter der Relativierung christlicher Wahrheitsansprüche und Historisierung des Christentums, insbesondere im Hinblick darauf, und geht einher mit einer impliziten Leugnung, dass der Bereich des Heiligen dem biblischen Gott als dem Heiligen und seinem Wirkungsbereich entspricht beeinflussen. Ein Jahrzehnt vor Sein und Zeit las Heidegger Rudolph Ottos Text „Das Heilige“, in dem er zeigte, dass er zwar offen für das Numinose war, wo und wie auch immer es erscheint, sei es in der Kunst oder in der Religion, aber letztendlich die Norm ist Für alle Theophanien sorgen die biblischen Theophanien. Der spätere Heidegger verzichtet endgültig auf das, was er als eine schelmische Schließung der Interpretation ansehen würde: Die Theophanie ist jeder menschlichen Wahrnehmung der Wahrheit eigen, unabhängig vom Augenblick, unabhängig vom Ausdrucksdiskurs, der ihr als Vehikel dient, ob Mythos, Religion, Kunst oder Philosophie. Die Erfahrung des Mysterium tremendum et fascinans ist radikal demokratisch.
Dies bringt mich zum zweiten der drei Hauptthemen, nämlich ob Heideggers Denken weiterhin apokalyptisch ist, so wie der frühe Heidegger, der durch seine Interpretation paulinischer Texte wie Thessalonicher 1 und 2 erstmals eine säkulare Apokalyptik herbeizuführen schien Galater. Die herausragende Bedeutung der Sprache der Achtsamkeit und Gelassenheit in Heideggers späteren Texten, die Verweise auf den Buddhismus, die Beschwörungen des Taoismus, ganz zu schweigen vom Angriff auf die Gewalt des Gestells oder Enframings, scheinen insgesamt darauf hinzuweisen, dass das geeignete Taxon für Heideggers späteres Werk ist das der Mystik. Heideggers Hervorhebung zweier mystischer Kenner der Gelassenheit, Meister Eckhart (1260–ca. 1328) und Angelus Silesius (1624–1677), in seinen späteren Werken scheint dies zu bestätigen, auch wenn Heideggers Gedanken höchst ungewöhnliche Merkmale aufweisen, was nicht zuletzt der Fall ist sein Ausdruck der Verachtung für die neoplatonische metaphysische Tradition, die einen Großteil der christlichen Mystik finanziert, insbesondere ihre Dualismen von Essenz und Erscheinung, Ewigkeit und Zeit und ihre bewusste Bevorzugung der ersteren gegenüber der letzteren.
Dennoch ist dieses kritische Urteil gezwungen, sich nicht nur mit dem prophetisch-apokalyptischen Ton des „späteren“ Heideggers zu befassen – der von Adorno so sehr angeprangert wurde –, sondern auch mit der apokalyptischen Sprache des Ereignisses oder Ereignisses und der Art und Weise, wie Dasein als Achtsames angeeignet oder enteignet wird und Gedenkstätte des Gebens des Seins (es gibt). Ereignis ist der Zeitschnitt, der eine ekstatische Zeitlichkeit darstellt, die das authentische Dasein kennzeichnet. Es ist auch kein reiner Zufall, dass, wie in den christlichen und jüdischen apokalyptischen Texten, sowohl die Sprache des Ereignisses (oder Advents) als auch seine Artikulation die Kehrseite einer Diagnose einer „durtifigen Zeit“ sind Es ist eine Zeit, die durch das Nichterscheinen der Götter und unseren Mangel an Mut gekennzeichnet ist, in die Abwesenheit zu blicken, nach Spuren des Erscheinens zu suchen und in der Schwebe auf die ewig aufgeschobene Ankunft des Gottes oder der Götter zu warten, die uns retten würden, indem sie uns erschaffen ganz.
Diese apokalyptische Struktur scheint relativ konsistent mit dem zu sein, was wir in unserer Behandlung des „frühen“ Heidegger entdeckt haben. Es gibt jedoch eine Reihe von Unterscheidungsmerkmalen. In seinen Vorträgen über Paulus und auf abstraktere und allgemeinere Weise in seinen Artikulationen des Primats der unvorhersehbaren Zukunft und der unmöglichen Möglichkeit des Todes in Sein und Zeit bewegte sich die Form der Apokalyptik auf den Grad Null zu. Nicht so in den Texten des „späteren“ Heidegger. Sein Diskurs über das Heilige und damit einhergehend die Topologie des „Geviert“ von Erde-Himmel, Sterblich-Göttlichem legen nahe, dass Heidegger sich nun über den Umweg des Mythos im Allgemeinen und der Hierogamie im Besonderen bewegt, mit dem Ziel im Wesentlichen, dies zu erreichen Mit diesem neuen und elementaren Denken das Christentum als Dialogpartner verdrängen und dabei auf den Dialog mit apokalyptischen Formen des Christentums verzichten.
Auch wenn der Mythos in so etwas wie einen Logos übersetzt wird, gleichzeitig aber behauptet wird, gelingt es Heidegger dennoch, deutlich zu machen, dass das Spannungsverhältnis zwischen Erde und Himmel und Sterblich-Unsterblich das Gott-Welt-Verhältnis von ersetzt hat Standardformen des Christentums, die weiterhin ein Hauptmerkmal der biblischen Formen der Apokalyptik in Bezug auf Himmel und Erde sind, auch wenn sie weiterhin etwas von ihrer bräutlichen Signatur haben. Während die Formalität des „Ereignisses“ sowie eine Art des intuitiven „Sehens“ (Apokalypsis) bestehen bleiben, wird die absolute Trennung zwischen dem Göttlichen und der Welt durch ein pulsierendes, epiphanisches, wenn auch vergängliches göttliches Milieu ersetzt, einen Raum von in dem das Göttliche und die Welt verschränkt sind und sich gegenseitig konstituieren, in dem Transzendenz Immanenz ist und umgekehrt, und das Kommen und die Annäherung (auch Flucht) der Götter die angemessene Art der Transzendenz in einer Welt ist, die zu gleichen Teilen suggeriert elementare Zugehörigkeit und Geborgenheit und akut asynchrones und ungeschütztes Sein.
Es ist dieses Funktionieren von Erde und Sterblichkeit als Beziehungsbasis, das empfiehlt, von einer „chthonischen“ Wendung des apokalyptischen Diskurses zu sprechen. Natürlich schafft Nietzsche als Apostel des „Unzeitgemäßen“ einen Präzedenzfall für das, was Heidegger in seinen „späteren“ Texten darlegt. Dennoch sollte man das Phänomen der deutschen Romantik und Persönlichkeiten wie Hölderlin und Novalis nicht außer Acht lassen, die die prophetische Rolle übernahmen und deren poetische Werke einen apokalyptischen Anstrich haben. Hölderlin, den Heidegger als eine unwiederholbare Singularität konstruiert, wird in der Standardliteraturgeschichtsschreibung als ein Dichter dargestellt, dessen Werk eine sehr prophetisch-apokalyptische Wendung hat und diese prophetisch-apokalyptische Besetzung, die gegenüber seinen frühen utopischen Übungen in Empedokles und Hyperion (die (trotz ihrer griechischen Zugehörigkeit zeigen sie ihre Wurzeln in der christlichen Apokalyptik) bis hin zur gedämpfteren Apokalyptik der großen Oden und Hymnen, die die Enthüllungen des Göttlichen aufschieben, aber auch die Identität des Einen, der kommen wird, mehrdeutig – wenn nicht letztlich unbenennbar – machen Kafkas Bote wird vielleicht nie eintreffen.
In Heideggers ungewöhnlicher Interpretation ist Hölderlin ein Denker, dessen Denker die Zeit reißt. Hölderlin ist der Dichter des stets verzögerten Kommens des Göttlichen, das dem Dichter-Propheten-Seher alles abverlangt, dessen Aufgabe es ist, die Andeutungen des Erscheinens anzukündigen und zu verfolgen. Als Erster ist Hölderlin unzeitgemäß; er gehört nicht zum Zeitalter der deutschen Romantik und des deutschen Idealismus. Deutungs- und historiografische Kategorien, die im Hinblick auf das gesamte Diskursfeld der Romantik generiert wurden, sind daher aus Heideggers Sicht unerlaubt. Heidegger stellt Hölderlin selbst als apokalyptisches Ereignis und Überbringer einer apokalyptischen Botschaft dar. Natürlich bringt diese Verdoppelung des Apokalyptischen als literarischer Inhalt und Ereignis Heidegger sehr nahe an den apokalyptischen Kern des Christentums. Wenn Hölderlin der Name einer wahrhaft ursprünglichen Denkform ist, dann liegt Heideggers Aufgabe auf der Hand, alle Spuren des Christentums aus den Schriften des deutschen Dichters zu entfernen. Er bietet dem Leser vielfältige Interpretationsmöglichkeiten, die Hölderlins Texten wirkungsvoll das Christentum entziehen.
Erstens geht es um die Frage des Auswahlverfahrens, welche Gedichte interpretiert werden, und damit faktisch um die Konstitution des Kanons innerhalb des Hölderlin-Poesiekanons. Im Hinblick auf das Ausgeschlossene fällt auf, dass Heidegger den utopischen Explosionen von Empedokles und Hyperion, den frühesten und längsten Texten Hölderlins, keine Beachtung schenkt. Natürlich begünstigt der Sturm-und-Drang-Charakter dieser Texte nicht die Art von Heldentaten des geduldigen Wartens, die der spätere Heidegger – mit Eckharts Gelassenheit als Motto – so bewunderte. Gleichzeitig neigen diese großen poetischen Dramen dazu, Hölderlin einer Zeit zuzuordnen, in der das Christentum in Deutschland neu formuliert wird, nachdem es zunächst in Frankreich umstritten war und in der Französischen Revolution einen Höhepunkt erreichte.
Man hätte meinen können, dass die biblische Abstammung der eschatologischen Gesten eines Schriftstellers, der mit Schelling und Hegel das Stift besucht hatte, kaum zu ignorieren sei. Heideggers Schweigen ist beredt. Ebenso schenkt Heidegger Patmos relativ wenig Beachtung, da es an den umstrittenen, aber immer noch wichtigsten Ausdruck der Apokalyptik in der christlichen Tradition erinnert, nämlich an das Buch der Offenbarung.
Dementsprechend wirft die Frage, welche Oden und Hymnen Heidegger zur Analyse heranzieht, erhebliche Fragen hinsichtlich des Auswahlprinzips auf. Hölderlins große Flussgedichte, zum Beispiel „Der Rhein“, „Der Ister“ und „Die Donau“, erhalten große Aufmerksamkeit, vor allem weil sie dazu dienen, eine deutsche Identität und ein Schicksal als Erbe eines Griechenlands zu etablieren, das sich in die Tiefen der Zeit zurückzieht dient als Lebensquelle und Anziehungskraft für Lebensraum und Volk. Zweitens stellt sich die Frage nach Heideggers tatsächlicher Interpretation von Hölderlins Gedichten und der durchgeführten Entfernung der christlichen Elemente, die unabhängig von der Frage, ob sie konstitutiv sind oder nicht, wichtig sind. Ich denke an Heideggers Versäumnis, Christus in seinen Überlegungen zum Heiligen zu erwähnen, und an seine problematische Entscheidung, sich auf Dionysos zu konzentrieren.
Heidegger verbringt auch nicht viel Zeit mit einem anderen Gedicht Hölderlins, das eine unverkennbar christliche Oberfläche hat, nämlich Brot und Wein. Tatsächlich erfasst Heidegger den Zusammenhang zwischen dem eucharistischen Zentrum des Gedichts und der apokalyptischen Erwartung. Dennoch konzentriert er sich auf die Zeit des Zwischen und der Gemeinschaft und enttheologisiert das Gedicht wirkungsvoll. Nervös bestreitet er, dass das Gedicht irgendeine Anspielung auf eine Transsubstantiation beinhaltet, schlägt aber nicht gerade vor, dass die Tischgemeinschaft als Gedenken an Christus betrachtet werden sollte. Erinnerung scheint funktional geworden zu sein: Es ist weniger der erinnerte Inhalt als vielmehr die Wirkung auf eine tatsächliche oder virtuelle Gemeinschaft, also die Gemeinschaft, die durch die Erinnerung an ein Ereignis ins Leben gerufen wird. In dem Maße, in dem die Erinnerung eher transformativ als informativ ist und das Befragen und Suchen von Menschen gegen die Nivellierung und Banalisierung, die das Zwielicht des Westens kennzeichnen, befähigt, wird an eine göttliche Präsenz früherer – vermutlich griechischer – Herkunft erinnert.
Man könnte auch am Rande erwähnen, dass Heidegger bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen Heidegger zu Patmos, dem apokalyptischsten Gedicht in Hölderlins Kanon, spricht, Johannes von Patmos nicht so sehr als Bekräftiger des erhabenen Status Christi darstellt, sondern eher als die Figur Johannes des Täufers via-à-vis Hölderlin, ein apokalyptischer Dichter mit einer apokalyptischen Botschaft, die eher griechisch als jüdisch/christlich, eher weltlich als weltfremd ist, und einer prophetischen Stimme, die eher die Zeit als die Ewigkeit segnet. Dies scheint darauf hinzudeuten, dass Hölderlin für Heidegger nichts Geringeres als eine Schrift geschaffen hat, die die Bibel ersetzt. Seine Poesie ist die Frucht der Inspiration und des Feuers, deren Worte eine heilige Welt errichten, aus der ein transzendenter Gott, ein Schöpfer und gesetzgebender Gott, verbannt wurde. Er ist nichts Geringeres als der Zustand einer emanzipierten Philosophie, die den Drachen des Christentums geschlagen hat. Dazu muss Heidegger jedoch Hölderlins christliche Schulden tilgen und sich bei der Übertragung von Hölderlins Poesie in die Philosophie ständig vor der Rückkehr der verdrängten christlichen Apokalyptik hüten.
Dies bringt mich zu meinem dritten und letzten Thema, nämlich den Aussichten, diese Form der chthonischen Apokalyptik in eine marcionitische Genealogie einzuschreiben. Mit der Berufung auf die deutsche Romantik habe ich tatsächlich bereits einen Lösungsansatz gesetzt. Als in einem früheren Aufsatz über Harnacks marcionitische Abstammung gesprochen wurde, war es notwendig, auf Kants Religion in den Grenzen der alleinigen Vernunft als naheliegende Quelle hinzuweisen. Kants besondere rationalistisch-ethische Form des Marcionismus, die göttliche Gebote ausschließt und alle Regeln verbietet, die nicht durch ethische Vernunft überprüft werden würden, wird im deutschen Idealismus sowohl übernommen als auch modifiziert. Es ist kein Zufall, dass Schellings erstes philosophisches Werk eine Dissertation (Broschürenformat) über Marcion (1795) ist. Es ist auch kein Zufall, dass der frühe Hegel in seinen theologisch-politischen Schriften dem Judentum und dem historischen Christentum abschwört und ihnen vorwirft, sie würden die „Positivität“ oder den rohen Faktumsstatus eines persönlichen Gottes waschen, dessen Verhalten eigensinnig, launisch und menschlich fordernd ist Wesen sind bedingungslose Treue und Dienstgehorsam, die sie verletzen und beschneiden.
Der Hegel der politisch-theologischen Schriften operierte im von Kant überlieferten marcionitischen Rahmen. Er modifiziert es, indem er vorschlägt, dass die Lösung für die durch das Judentum und historische Formen des Christentums in den Westen eingeführten Deformationen entweder (a) eine griechische Religion sein könnte, die sich auf das menschliche Gedeihen der Gemeinschaft konzentriert, oder (b) eine durch sie modifizierte Form des Christentums ein Gemeinschaftsparadigma, dessen Vorlage die griechische Religion/der griechische Staat ist. Ich möchte darauf hinweisen, dass ich hier nicht behaupte, dass Hegels Denken als Ganzes marcionitisch sei. In diesem sehr frühen Stadium seiner geistigen Entwicklung ist Hegel noch kein Philosoph geworden. Genauer gesagt ist er noch kein Philosoph geworden, der das Christentum als Vorwegnahme seiner spekulativen Philosophie betrachtet.
Wenn die Phänomenologie (1807) als der intellektuelle Ankunftspunkt betrachtet wird, an dem die christliche Erzählung den Subtext des „absoluten Wissens“ (absolut Wissen) liefert, sollte beachtet werden, dass die christliche Erzählung in jedem ihrer unterschiedlichen Punkte im Wesentlichen gestört ist in der Erzählung, ob der innertrinitarische Gott, die Schöpfung, der Sündenfall, die Erlösung, die Heiligung und das Eschaton eine Interpretation erhalten, die genau das Gegenteil von dem ist, was in der theologischen Tradition vorgesehen ist. Somit ist Hegels Christentum insgesamt eine Metaerzählung, die die historische christliche Erzählung korrigiert und übertrifft. Darüber hinaus entfällt die normierende Funktion der Bibel, da der Bibeltext für Hegel lediglich eine „Wachsnase“ ist, die jeden Eindruck hinterlassen kann. Hegels spekulative Philosophie, eine Philosophie, die die Realität und unser Verständnis davon vollständig erklärt, erfordert daher ein anderes Taxon. Wie ich an anderer Stelle an zahlreichen Orten argumentiert habe, gehört Hegels spekulativer Diskurs zu einer gnostischen Genealogie.
Doch Hegel und der deutsche Idealismus bilden nur eine Seite der Rezeption und Modifikation von Kants Marcionismus. Die deutsche Romantik ist das andere. Hölderlin und Novalis sind die beiden treffendsten Beispiele. Meine Skizze von Hölderlins Poesie wird mehr oder weniger als Stellvertreter für eine ausführlichere Darstellung des Dichters und der Feinheiten seiner Beziehung zu Kant und Fichte sowie für sein kritisches Verständnis des Christentums und seine Gestaltung einer schmackhafteren und lebensnaheren Sprache dienen müssen. Alternative produzieren. Alles, was ich im Fall von Hölderlin hinzufügen möchte, ist, dass der deutsche Pietismus in seiner gesamten Poesie immer noch eine Rolle spielt und eine Rolle dabei spielt, dass er die Dienste des Geistes leicht akzeptiert und davon überzeugt ist, dass der Mensch weniger unter die Ordnung des Geistes gestellt werden sollte Sünde als die aufeinander bezogenen Erlösungs- und Heiligungsordnungen. Geeignet ist auch die Figur des Vaters, die weit weniger furchterregend ist als Luthers Gott des Zorns und der in der romantischen Rezeption die Fähigkeit verdeutlicht, mit dem eher erdorientierten Zeus zu einer Amalgamfigur verschmolzen zu werden, die der radikal exponierte Dichter als „Vater“ ansprechen kann Äther.“ Christus teilt den Raum nicht nur mit Dionysos, sondern auch mit anderen chthonischen Gottheiten oder Halbgottheiten wie Demeter, Ceres und Persephone.
Im Fall von Novalis prägt er neben seinem berühmten Aufsatz über den Niedergang Europas in Rationalismus und Utilitarismus in seinen Gedichten, insbesondere aber in „Hymnen an die Nacht“, eine Religiosität, die ihre tiefsten Wurzeln in der Erde, im Traum und in den Regeln findet Im besten Fall ist sie zweitrangig – und im schlimmsten Fall deformierend – jede Religiosität, die von propositionalen Diskursen, göttlichen Geboten und institutioneller Verwaltung und Einhaltung dominiert wird. Novalis hat mehr als Hölderlin eine Vorliebe für das katholische Mittelalter und lenkt die Aufmerksamkeit noch energischer auf Maria als die weibliche Kraft, die zwischen Himmel und Erde vermittelt. Keine dieser katholischen Affinitäten empfiehlt Heidegger Novalis. Auch Novalis‘ Genealogie der Moderne, in der die Reformation als Schuldige genannt wird, gilt nicht. Wie bei Hegel ist Luther bei Heidegger eine unangefochtene Figur. Im Gegensatz zu Hegel wird Luther jedoch bei Heidegger nie mit Descartes in Verbindung gebracht, der für beide der Vater der Moderne ist, für die größere Ehre und Herrlichkeit des Geistes im Fall von Hegel, für die tiefste und dunkelste Phase des Irrtums im Westen in diesem Fall von Heidegger. Ungeachtet Heideggers Günstlingswirtschaft scheint es jedenfalls klar zu sein, dass für beide deutschen Dichter eine völlige Abkehr von Institution, Herrschaft und Ritual die Voraussetzung für eine tragfähige Form nachchristlicher Religiosität ist.
Nach der Art von Marcion und Kant ist weder bei Hölderlin noch bei Novalis der transzendente Gott des Judentums und des Christentums übrig geblieben. Auch die Lücken zwischen dem Göttlichen und der Welt und dem Göttlichen und dem Menschen werden nicht bestehen bleiben: Als ob es eine schreckliche Leere gäbe, werden beide mit der Theophanie oder ihrer Möglichkeit ausgefüllt. In keinem Fall wird auch der Gott der Gebote gewährt: Der Gott der hebräischen Schriften ist nicht der Gott Jesu Christi. Soweit der Gott Jesu Christi weiterhin im Spiel ist, wird er in diesen romantischen Dichtern nach dem Vorbild des Vaters Jesu Christi von Marcion umgestaltet, der ein anderer ist als der dem Diktat gegebene Schöpfer- und Gesetzgebergott der hebräischen Schrift und Herrschaft, die durch Strafe ausgeübt wird und zu Willkür und Gewalt neigt. Was sich in dieser postaufklärerischen Situation vom zweiten Jahrhundert unterscheidet, ist das übereinstimmende Urteil, dass, sollte das Christentum weiterbestehen, die Demonstration eines Göttlichen erforderlich wäre, das der Menschheit und der Welt nahe kommt, und die Überzeugung, dass dies nur erreicht werden kann, wenn Diese relativ entleerte Form des Christentums vermischte sich mit eher diesseitigen Religionsformen und Denk- und Gefühlsmustern, die das Christentum angeblich verdrängt hatte.
Eine neue Form des Marcionismus tritt auf den Plan, eine, in der der Marcionismus chthonisch – ich möchte nicht sagen heidnisch – geprägt ist und daher eher das Gegenteil des Hauptchristentums als dessen Ableitung zu sein scheint. Wenn also eine moderne Form des Marcionismus die notwendige Voraussetzung für eine neue und heilsame Form der Religiosität bietet, ist nach dem grundsätzlichen Scheitern des historischen Christentums die ausreichende Voraussetzung der chthonische Zuschlag, der die Menschen vertieft und verankert und das Unterdrückende lindert „Leichtigkeit des Seins“, um Milan Kunderas großartigen diagnostischen Satz zu zitieren, der unser modernes Erbe zusammenfasst.
Nicht zu vergessen das apokalyptische Register sowohl bei Hölderlin als auch bei Novalis, ist es genau die Form des Marcionismus, die sich im Werk des „späteren“ Heidegger wiederholt, das, wenn auch von Zeit zu Zeit, nicht fälschlicherweise als langes Gespräch mit der Poesie Hölderlins charakterisiert wird Zeitweise erwähnt Heidegger andere Dichter, zum Beispiel Hebel, Rilke, Trakl und Celan, und lässt Hölderlin nie als echten Hölderlin gelten, sofern Heidegger Hölderlin konsequent aus seinem historischen Umfeld übersetzt und dabei stets auf der endgültigen Natur seiner jeweiligen Interpretation beharrt . Zwei Jahrhunderte später, zwei Jahrhunderte der Kritik des Christentums – insbesondere der von Nietzsche –, zwei Jahrhunderte auch der Suche nach weltlicheren und lebensbejahenderen Alternativen, sollte man sich nicht wundern, dass das christliche Element schwächer und das chthonische Element stärker wird.
Dies lässt sich deutlich an den Beiträgen ablesen, die, wenn sie bis 1938 fertiggestellt waren, erst posthum veröffentlicht wurden. Dieser Text scheint Nietzsche zutiefst zu beschäftigen, obwohl Heidegger uns in den 1930er und 1940er Jahren immer wieder aus der Fassung bringt, indem er immer wieder auf die Unterschiede zwischen ihm und Nietzsche eingeht, wenn es darum geht, die Moderne zu verstehen, die sich erstmals in Descartes‘ Ego cogito herauskristallisierte , die Fähigkeit, der Anziehungskraft der Metaphysik und ihrer Geschichte zu entkommen, und das Verständnis der Schwelle des Nihilismus, der gleichzeitig eine immense Chance und eine Gefahr darstellt. Damit soll jedoch nicht geleugnet werden, dass in einem Text, der regelmäßig als Heideggers zweites Hauptwerk bezeichnet wird, Hölderlin der dominierende Gesprächspartner ist. Während Heidegger nicht ausdrücklich für die Vorrangstellung Hölderlins als Beschreiber und Förderer des Heiligen plädiert und auch nicht erklärt, dass seine Überlegungen zum „Letzten Gott“ von den größten deutschen Dichtern abhängig sind, ist die Tatsache, dass er dies nicht tut und scheint, nicht der Fall Hölderlins Stimme mit seiner eigenen zu verschmelzen, macht die Präsenz des deutschen Dichters umso kraftvoller.
Damit soll nicht geleugnet werden, dass Heidegger das letzte Wort in Bezug auf die chthonische Apokalyptik Hölderlins haben will, so wie Hegel das letzte Wort in Bezug auf das Christentum wollte, auch wenn oder gerade wenn es um die aufwendig überarbeitete Form geht, die er in Texten wie z wie die Phänomenologie und Vorlesungen zur Religionsphilosophie. Indem Heidegger Hölderlin in sein Werk aufnimmt, räumt er im Wesentlichen das Durcheinander des großen deutschen Dichters in Bezug auf seine widersprüchlichen Loyalitäten zu Christus und Dionysos auf, genauso wie er in seiner „starken Interpretation“ – sprich „Fehlinterpretation“ – von Hölderlin die Verbindungen zu a Christentum, in dem Geist, Nähe zum Göttlichen und Gemeinschaft im Vordergrund standen.
Die Werke des späteren Heidegger gehen also einen Schritt weiter als die romantische Verschmelzung des Christentums mit religiösen Dimensionen, die historisch gesehen im Widerspruch zur Herstellung eines rein chthonischen Destillats stand. Damit vollzieht Heidegger eine von der Romantik im Allgemeinen und vom historischen Hölderlin im Besonderen vorgeschlagene, aber nicht umgesetzte Substitution. Heidegger gelingt es schon in dieser Zeit, die Existenz eines biblischen Christentums als möglich zu deuten. Dies deutet auf mindestens eines von zwei Dingen hin: Entweder ist die bedingte Bestätigung selbst einer nicht-metaphysischen und nicht-doktrinären Form des Christentums unaufrichtig oder die Ausrottung aller Überreste des Christentums ist angesichts der historischen Verbindung zwischen ihnen eher ein Programm als eine tatsächliche Verwirklichung eine stark geschorene marcionitische Form des Christentums, die in einer Weise, wie es traditionelle Formen des Christentums nicht tun, den Handel mit Formen religiöser Sprache und spirituell angestrebten Lebensformen fördert, insbesondere den Sprachen des Lobpreises und der gelebten Zugehörigkeit, die alternative Heilszeiten kennzeichnen. Vielleicht deutet es auf beides hin.
Sicherlich ist Heideggers Gott – sofern wir ihn überhaupt jemals groß schreiben dürfen – nicht der Gott der gesamten Bibel, sondern einer, in dem nicht nur die hebräische Bibel, sondern auch alle Überreste des Schöpfer-Legislativen sowie alle Reste des Schöpfer-Legislativen abgetan sind Erlösergott aus dem Neuen Testament gestrichen. Heidegger scheint sich – wenn auch pluralistisch – an diesen Gott zu erinnern, der ein erlösender Gott ohne Rest ist, wenn er in seinem berühmten Spiegel-Interview gnomisch sagt: „Nur noch ein Gott kann uns retten“ (Nur noch ein Gott kann urs redden). Es fällt schwer, sich nicht an Marcions Gott zu erinnern, der ganz und gar nicht der Schöpfer-Gesetzgeber und Erlöser-Gott der gesamten Bibel ist, auch wenn dieser Gott jetzt darauf vorbereitet ist, unvorstellbare Farben und Dimensionen anzunehmen.
In diesem allzu kurzen Aufsatz habe ich versucht, darauf hinzuweisen, dass es den Werken des „späteren“ Heidegger ebenso wenig gelingt wie denen des „früheren“, alle Spielarten des Christentums hinter sich zu lassen. Genauer gesagt wollte ich argumentieren, dass die Werke des „späteren“ Heidegger, die voller Anspielungen auf Hölderlin sind, auch wenn er nicht diskutiert wird, ähnlich apokalyptisch und marcionitisch sind. Nun, wie auch immer der Apokalyptik ein tatsächlicher Inhalt gegeben wird, nämlich das immanente Heilige und hierogame Vierfache, die neu entstehende apokalyptische Form des Marcionismus – ebenso die marcionitische Form der Apokalyptik – beinhaltet die Erinnerung an ältere Formen der Religiosität vor dem Christentum, selbst wenn sie sich abschließt Historisches Christentum. Zugegebenermaßen scheint diese komplexe Beschreibung den späteren Heidegger eher mehr als weniger unklar zu machen. Dennoch ist es in der Lage, die Werke des späteren Heidegger weitaus besser zu erklären, als wenn man einfach von mythischer Regression oder der Einführung einer vorsätzlichen Mystifizierung in den philosophischen Diskurs spricht. Es verfolgt auch besser die apokalyptische Tendenz des frühen Heidegger und die verbleibenden Aussichten für das Christentum, das auf die Metaphysik und einen souveränen schöpferischen und gesetzgebenden Gott verzichtet hat, der das Mysterium entsandt und das Rätselhafte und Unheimliche aus der Welt ausgemerzt hat.
Zweifellos wäre es wunderbar, wenn sowohl die späteren als auch die früheren Werke Heideggers eine einfache Beschreibung im Sinne einer parmenidischen Reduktion auf das Eine zulassen würden. Im Laufe seiner Karriere zeigte sich Heidegger nie ganz damit einverstanden, Diskursen Reinheit zuzuschreiben, seine eigenen nicht ausgeschlossen. Die wohl wirkungsvollsten Denkformen sind Mischungen, eine Geste, die von einem postmodernen Nachfolger wie Derrida übernommen und weiterentwickelt wurde. Dies trotz Heideggers natürlicher Gewohnheit, die zum Eindeutigen tendiert. Das ist bei seinem Trinken der Fall: keine Cocktails, nur Wein; keine internationalen Weine, nur lokaler Wein; Nicht nur lokaler Wein, sondern der Wein aus der Region Markgräfer in Süddeutschland.
Natürlich geht es auch beim Wein, insbesondere beim Heidegger-Wein, letztlich nicht um das Einfache: Neben der Traube gibt es noch andere Fruchtaromen in einem Wein, unterschiedliche Körpergrade, unterschiedliche Säuregrade. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, Heideggers Trinkgewohnheiten mit seinen philosophischen Mischgewohnheiten in Einklang zu bringen. Die wirkliche Versuchung – und Heidegger würde sie nicht weniger erkennen als Nietzsche – ist Konsequenz. Während Heidegger manchmal denkt, dass seine Trinkgewohnheiten und seine philosophischen Gewohnheiten zusammenpassen, ist das nicht der Fall. Der Diskurs des „späteren“ Heidegger ist unverschämt pluralistisch, ebenso wie seine Rückbesinnung auf das Christentum selbst in seiner Verheimlichung und Transmogrifizierung unverhohlen ist.
Es ist also weitaus besser zu sagen, dass das Werk des „späteren“ Heidegger ein Cocktail aus Apokalyptik ist, die ursprünglich christlichen Ursprungs war, einer neu entstandenen Form des alten Christentums (Marcionismus), das mit Beginn des historischen Christentums verdrängt wurde, und einem nichtchristlichen Inhalt Beiden wird ein Buch geliefert, das an die Regression der deutschen Romantik auf vorchristliche Religionsformen erinnert und diese gleichzeitig als Optionen für die moderne Welt oder zumindest als deren Beurteilung dieser neu kodiert.
In allen Perioden seines Denkens zeigte Heidegger die Fähigkeit, verschiedene Stränge des christlichen Diskurses, ob Mystik, Apokalyptik oder marcionitisches Christentum, entsprechend seinen eigenen philosophischen Interessen und Bedürfnissen zu übernehmen und anzupassen, auch wenn – oder insbesondere wenn – dies keine Verpflichtung erforderte zu historischen Formen des Christentums und sicherlich zu christlichen Theologien. Er zeigte in seinen Vorlesungen über Paulus und in Sein und Zeit, dass die Apokalyptik vom Judentum und Christentum zur Philosophie übergehen konnte. Ebenso beim Marcionismus. Das Werk des „späteren“ Heidegger geht in mancher Hinsicht einen Schritt über das Werk des „früheren“ Heidegger hinaus. Was ich hier hervorheben möchte, ist, dass Heidegger, indem er dem apokalyptischen Grad Null seines frühen Werkes, der die Auslöschung der Gestalt Christi beinhaltet, chthonischen Inhalt hinzufügt, dennoch den marcionitischen Rahmen des Christentums wieder aufnimmt, der Gott nicht nur anders als das Judentum darstellt und das katholische Christentum, scheint aber auch unterbestimmter und durchlässiger für andere religiös geprägte Denkformen zu sein.
In dem Maße, in dem Heidegger das Gefühl hat, nach dem Untergang des Christentums auf die Bühne gekommen zu sein – auch wenn er zugibt, dass es ein Anachronismus und ein Gespenst bleibt – nach der Art der deutschen Romantiker und insbesondere Hölderlins, beinhaltet sein späteres Werk die Ausweidung von Unverständlich gewordene christliche Glaubenssätze und die Abschaffung nicht mehr lebensspendender christlicher Praktiken. Am offensichtlichsten geht es in seinen späteren Werken darum, das Christentum durch eine archaische Religionsschicht zu ersetzen, die gleichzeitig sterbend und intellektuell bankrott ist. Dieser chthonische Stamm verspricht, das Mysterium zu schützen, das Heilige zu demokratisieren und das Runen- und Unerklärlichkeitsgeschehen hervorzuheben, von dem sich die Menschen entweder trennen oder wenn sie sich ausnahmsweise für die Begegnung mit einer Realität öffnen, die riskant und unzuverlässig ist, finden sie es sind nicht bereit. Das Christentum wird zum Gespenst. Auch Gespenster sind unvergesslich.
Ausgewähltes Bild: Caspar David Friedrich, Gepflügtes Feld, 1830; Quelle: Wikimedia Commons, PD-Old-100.
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